Rolf Rau

Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf

Kolmarer Heimatbrief

Selten hat ein Beitrag im Kolmarer Heimatbrief seit meiner Übernahme der Schriftleitung 2006 eine solche Resonanz bei den Heimatfreunden gehabt wie der Beitrag über den 1934 so tragisch verstorbenen beliebten Chirurgen Dr. Paul Rau sowie der Bericht seines Sohnes, Professor Dr. Rolf Rau, über den Besuch in seiner Heimat. Viele der über 85jährigen Heimatfreunde erinnern sich oder wissen von ihren Eltem, dass sie oder Familienangehörige von Dr. Paul Rau behandelt wurden. So schrieb z.B. Gisela Wagner geb. Grippentrog aus Usch-Neudorf, heute wohnhaft in Gülitz: „Dr. Rau hat bestimmt meine Eltern und Großeltern gesundheitlich betreut. Als ich die Geschichte las, wusste ich sofort: Das war damals unser Arzt. Ein ganz bekannter Name aus meiner Kindheit

Christa Beutler geb. Milbradt aus Margonien, heute wohnhaft in Wertheim, schickte ein Schulfoto, das sie seinerzeit von ihrer Freundin Ruth Schiebischewski geb. Nebenhäuser erhalten hatte. Es zeigt in der ersten Reihe vorne ganz links (X) den hellblonden Knaben Rolf Rau. Über das Foto hat Professor Rau sich sehr gefreut.

Er hat nun seinerseits ein Foto aus Chodziez für den Heimatbrief zur Verfügung gestellt, das von ihm anlässlich seines geschilderten Besuchs in der Heimat mit Frau und Tochter vor dem Haus aufgenommen wurde, in dem sein Vater eine Arztpraxis führte. Heute ist das die Nummer 7 in der Wojska Polskiego, die zum Stadtsee hinunter führt. Das Gebäude wurde 1910 von Gustav Ellermann gebaut und beherbergt ein Café.

Zugleich informierte mich Professor Rau über das Erscheinen seiner Biographie, die er unter dem Titel „Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf“ im UNl-MED-Verlag veröffentlicht hat. Diese Aussage seiner Mutter in der höchsten Not des deutschen Zusammenbruchs hat ihn sein Leben lang begleitet.

Ich habe das Werk mit von Seite zu Seite wachsendem Interesse und Emotion gelesen, obwohl es natürlich in erster Linie den medizinisch-beruflichen Werdegang von Professor Rau schildert – aber in einer sehr persönlichen Art, die den Leser „mitnimmt“. Es folgt eine Leseprobe aus dem Band.
Klaus Steinkamp

Interview mit dem Naumburger Tageblatt vom 3. April 2018

Mediziner blickt zurück

ROLF RAU Ehemaliger Rheumatologe berichtet in seiner Autobiografie über die Jugendjahre in Naumburg. Für April ist eine Lesung in der Stadtbibliothek geplant.

Rolf Rau verbrachte seine Jugendjahre in Naumburg. FOTO: PRIVAT

NAUMBURG – Der deutsche Rheumatologe Rolf Rau hat im vergangenen Jahr seine Autobiografie „Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf … Erinnerung und Spurensuche“ veröffentlicht. Der Mediziner blickt darin zurück auf acht bewegte Jahrzehnte. Er schildert wichtige Lebensstationen und bettet die Erlebnisse gleichzeitig in den historischen Kontext ein. Prägend waren für Rau unter anderem seine Jugendjahre in Naumburg, wo er und seine Mutter nach Ende des Zweiten Weltkrieges lebten. Sein Buch wird der Mediziner am 16. April, ab 19 Uhr, in der Stadtbibliothek in Naumburg vorstellen. Franziska Fiedler hat vorab mit dem Autor gesprochen.

Was veranlasste Sie, Ihr bisheriges Leben aufzuschreiben?

Rau: Etwa um 2010 animierten mich Freunde, meine Lebensgeschichte niederzuschreiben. Insbesondere wollte ich meine Kindheit im Vorkriegs-Polen, während des Krieges, die Flucht und die Schulzeit in der späteren DDR etwas abseits der offiziellen Geschichtsschreibung schildern.

Wie sind Sie an die Recherche zum Buch herangegangen? Mit welchen Schwierigkeiten sahen Sie sich konfrontiert?

Leider hatte ich mich nie für meine Vergangenheit interessiert, mit meiner Mutter kaum je darüber gesprochen, mein Vater war schon 1934 verstorben. Alle Zeitzeugen waren tot, fast alle Familiendokumente 1945 verlorengegangen. Lediglich zwei jüngere Cousins konnte ich über die Flucht ihrer Familien befragen. Einer meiner Patienten war als Kind auf das gleiche Internat in Reisen (Provinz Posen) gegangen wie ich. 2012 rief ich ihn an und nahm an einem Ehemaligentreffen der Napola-Schüler (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Reisen teil. Von dort aus führte mich meine Reise unter anderem zu meinem Geburtsort Kolmar.
Im Kolmarer Wochenblatt (polnisch) war 2011 ein Artikel über meinen Vater erschienen – 77 Jahre nach seinem Tod. Darin heißt es: „Er war ein Arzt der Armen und der Reichen, der Deutschen, der Polen und der Juden, und behandelte alle gleich.“
Mir fehlende Informationen über die Schulzeit in Naumburg bekam ich durch Befragen ehemaliger Klassenkameraden.

Sie sind Ende des Krieges nach Naumburg geflüchtet, haben dort ihre Jugendjahre verbracht. Ihre Mutter hat Sie unter schwierigen Bedingungen allein großgezogen. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Naumburg?

Mit dieser Stadt verbinden mich viele Erinnerungen an eine sehr wichtige, für mein weiteres Leben vielleicht entscheidende Phase meines Lebens. Vom Internat in Reisen aus war ich als elfjähriger Kadett vor den Russen geflohen und kam Anfang Februar 1945 in Naumburg an. Meine Mutter fand mich hier am 5. April 1945 wieder. Wir bekamen eine kleine Dachkammer zugewiesen.
Am 12. April beobachteten wir von Kellerfenstern aus den kampflosen Einzug der Amerikaner. Am nächsten Tag beteiligten wir uns an der Plünderung des Heereszeugamtes und des Verpflegungsamtes. Drei Monate später kamen die Russen.
Unser Leben als bettelarme Flüchtlinge war geprägt durch Hunger, Hamstern, Stoppeln, Tauschen, auch Schwarzhandel. Ich besuchte ab September 1945 die Oberschule Naumburg. Sie war mir Heimat und Bildungsanstalt zugleich. Wir hatten hervorragende altbewährte Lehrer – die Hälfte promoviert. Sie vermittelten uns eine gute Allgemeinbildung und erzogen uns zu verantwortungsbewussten Menschen.
Die Klasse war eine verschworene Gemeinschaft. Alle waren nahezu gleich in ihrer Armut, ihren Wünschen und ihrer Ablehnung des Systems. Die Schule blieb ein Hort der Reaktion. Die Direktoren wurden häufig ersetzt, Lehrer und unliebsame Schüler der Schule verwiesen und verließen oft die DDR in Richtung Westen. Politische Diskussionen in der Klasse wurden vermieden.
Natürlich gab es auch sehr viele Erlebnisse, die mir die Schulzeit trotz aller Entbehrungen als schönste meines Lebens erscheinen lassen. Neben der Geborgenheit der Klassengemeinschaft und dem Stolz, die letzte reine Jungenklasse zu sein, waren es die rauschenden Schulfeste im großen Rathaussaal mit den Erfolgen unsere Aufführungen mit Fahrradakrobatik oder mit dem Stück „Landung der Marsmenschen“, die uns als Prämie eine Rennsteigwanderung und eine Harzreise einbrachten. Meine Liebe zum Tanz wurde durch mehrfache Teilnahme an Tanzschulkursen bei Mathilde Döring geweckt.

Welche Rolle spielte Naumburg, nachdem Sie zum Studium nach Berlin aufgebrochen waren?

Meine Mutter wohnte bis 1962/63 in Naumburg. Dann zog sie nach Berlin-West. Ich studierte bis 1957 an der FU Berlin. 1953 gab es neue Ostausweise. Ich habe meinen alten Naumburger Ausweis bei der Polizeibehörde in Schönwalde bei Berlin vorgelegt und einen neuen unter Angabe einer falschen Anschrift beantragt. Das war ein hochriskantes Unternehmen und hätte mich in der DDR wegen Ausweisfälschung und Spionageverdachts ins Zuchthaus bringen können.
Mit dem neuen Ausweis konnte ich im Ostsektor einkaufen und in den Semesterferien nach Naumburg fahren. Ich lebte in meinem alten Zimmer, konnte hier lernen, im Radio klassische Musik hören, Klavier spielen und alte Schulfreunde besuchen.
Manchmal juckte es in den Beinen, wenn vom Bürgergartenlokal her Tanzmusik erklang. Seit Herbst 1957 studierte ich in Gießen. Den Mauerbau erlebte ich bei einem Besuch in Berlin. Von Gießen und später von Zürich aus gab es Briefkontakte mit zwei Schulfreunden. Ich habe sie mit Reisegenehmigung mehrfach besucht, auch ihre Familien in Naumburg. Der zunehmende Verfall des Straßenpflasters und zahlreicher Gebäude hat mich erschüttert. Umso eindrucksvoller ist heute die Restaurierung der Stadt zu alter Schönheit.

An wen richtet sich das Buch?

Das Buch richtet sich an alle an der jüngeren Geschichte Deutschlands interessierten Leser. Darin schildere ich, wie es aus persönlicher Anschauung gewesen ist. Da sich eine entscheidende Phase meines Lebens in Naumburg abspielte, sollte es besonders für Naumburger interessant sein. Übrigens: Die medizinischen Passagen des Buches wurden auch für Laien verständlich geschrieben.

›› Der Eintritt zur Lesung am 16. April, 19 Uhr, in der Stadtbibliothek Naumburg ist frei. Sitzplatzreservierung möglich unter: bibliothek@naumburg-stadt.de oder 03445/20 22 50

 

Ein spannendes Zeitdokument auf Spurensuche: „Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf“

„Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf“, sagte Hildegard Rau wiederholt zu ihrem Sohn Rolf, nachdem die kleine Familie Ende des Zweiten Weltkrieges in Naumburg Zuflucht gefunden hatte und bettelarm in ein neues Leben startete. Diesen Ausspruch hat der spätere Rheumatologe auch zum Titel seiner 2017 im Uni-Med-Verlag erschienenen Autobiografie auserkoren. Darin schildert Rolf Rau, Jahrgang 1933, sein bewegtes Leben: die glücklichen Kindheitstage in der Provinz Posen (Polen), die Flucht des Elfjährigen Ende des Krieges aus dem Internat, das Wiedersehen mit der Mutter in Naumburg nach fast drei Monaten der Trennung und Ungewissheit, die harten Jahre der Nachkriegszeit in der Domstadt, die durchaus mit glücklichen Erinnerungen an die Jugendjahre verbunden sind, den Aufbruch nach Berlin zum Medizinstudium und den strebsamen Aufstieg zum Professor und weltweit anerkannten Rheumatologen, der Rau über Marburg, Gießen und Zürich bis nach Ratingen führte.
Neben den persönlichen und teils sehr privaten Schilderungen, versteht es Rau, seine Erfahrungen und Erlebnisse im historischen Gesamtzusammenhang darzustellen. Mit dem Leser teilt er ab und an auch die eigene Meinung zu geschichtlichen Hintergründen. Das letzte Drittel gewährt einen interessanten wie seltenen Einblick in den Wissenschafts- und Medizinbetrieb.
Das spannende Zeitdokument hat 367 Seiten und ist für 19,95 Euro im Uni-Med-Verlag zu erhalten.

 

Quelle: Naumburger Tageblatt vom 3. April 2018

 

Schwarzwälder Bote vom 20.11.2017

Acht Jahrzehnte voller Umbrüche

Von Sabine Miller

Foto: Sabine Miller

Der Mediziner Rolf Rau hat im Kräuterkasten aus seinem autobiografischen Buch „Junge das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf“ gelesen.

Albstadt-Ebingen. Auf 367 Seiten leuchtet der Autor aus Ratingen in verschiedene Aspekte seines bewegten Lebens hinein, stellt die Ereignisse seiner Vita aber in einen Kontext zum jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Geschehen. So darf das Werk auch als acht Jahrzehnte voller Umbrüche umfassendes Zeitdokument gesehen werden.

Trotz beruflicher Erfolge ist Rolf Rau keine dieser Persönlichkeiten, an deren Biografie große Verlage Interesse bekundet hätten. Erschienen ist sein Buch deshalb im Uni-Med-Verlag, einem Verlag für medizinische Fachbücher, bei dem er selbst bereits solche publiziert hat.

Eine Lesereise gab es bisher nicht. Der Einladung der Stadt Albstadt zu einer Präsentation bei den Albstädter Literaturtagen – der Kontakt kam über die mit Raus zweiter Ehefrau Gertraud befreundete Birgit Frohme zustande – habe er zunächst skeptisch gegenüber gestanden, gab der agile 84-Jährige zu.

Mit liebenswürdigem Tonfall Geschichte zum Klingen gebracht

Bei seiner Lesung in der stimmigen Atmosphäre des voll besetzten Kräuterkastens war davon allerdings nichts mehr zu spüren: Mit klarem und liebenswürdigem Tonfall brachte er seine Geschichte zum Klingen. Rasch ließ sich der Hörer gedanklich mitnehmen, mitten hinein in die Provinz Posen, wo Rau 1933 das Licht der Welt erblickte. Hand aufs Herz – wer weiß schon noch von der Existenz der Provinz Posen, von ihrer wechselnden Zugehörigkeit, mal zu Polen, mal zu Deutschland? Zum Zeitpunkt seiner Geburt gehörte sie zu Polen. Als der Vater früh starb, zog die Mutter mit ihm von Kolmar nach Margonin, wo sie ein Hotel geerbt hatte.

Dort begann der Autor im Zuge der Buchrecherche seine Spurensuche. Die Landschaftseindrücke, die er bei seiner Reisen sammelte, hat er in anschaulich-bildhafte Texte gepackt. Spannend geschildert oder humorvoll erzählt sind die Begegnungen mit Menschen, die ihm geholfen haben, Erinnerungen aufzufrischen. Die politisch bedingten Erlebnisse und Lebenssituationen seiner Kinder- und Jugendzeit beschreibt Rolf Rau ohne sie zu bewerten: 1939 beobachtet er von einem Hügel der Danziger Höhe aus den Beginn des Zweiten Weltkriegs, 1943 wird er Schüler der nationalsozialistischen „Nationalpolitischen Erziehungsanstalt“ (NPEA) in Reisen, flüchtet im bitterkalten Winter 1945 zu Fuß mit zwei Mitschülern vor den Russen, erkrankt an Gelbsucht. Eine Landverschickung bleibt ihm erspart, die Mutter findet ihn.

Hab und Gutes beraubt, entwurzelt und bettelarm wie so viele, spricht sie dann irgendwann jene Worte aus, die dem Buch seinen Titel verliehen: „Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf.“ Botschaft? Aufforderung? Hilferuf? Darauf ging Rolf Rau im Kräuterkasten nicht näher ein, sondern widmete sich den Anfängen der DDR und machte dann einen großen Sprung in seine Ära als Arzt und Rheumaspezialist und zur vom Publikum aufmerksam verfolgten Behandlung eines ganz besonderen Patienten in Afrika.

Hier geht es zum Artikel im Schwarzwälder Boten vom 20.11.2017

Zollern-Alb-Kurier vom 23.11.2017

Persönlicher Blick auf acht Jahrzehnte

Von Sabine Miller

Foto: Sabine Miller

Der Mediziner Rolf Rau las aus seinem biografischen Buch „Junge, das Einzige, was wir noch haben, ist dein Kopf“.

Hier geht es zum kompletten Artikel im Zollern-Alb-Kurier vom 23.11.2017